Die Stickerei

ist einer der bedeutendsten Zweige der griechischen Volkskunst. Sie ist sowohl in ästhetischer als auch in volkskundlicher Hinsicht besonders interessant. Die doppelte Einwirkung einerseits aus dem Osten und andererseits aus dem Westen, die das gesamte Kunstschaffen des 18. und 19. Jahrhunderts kennzeichnet, und auch die Eigenart der griechischen Landschaft – die unzähligen Inseln und die durch Berge und Meer voneinander getrennten Gebiete – führten zu einer Mannigfaltigkeit von Formen, Motiven und deren lokalen Varianten, die die griechischen Stickereien charakterisiert.

In Bezug auf Farbe und Material lässt sich die griechische Stickerei in zwei Klassen teilen: die mit buntem, weißem und goldenem Faden, und die mit Gold- oder Seidenschnur ausgeführten Arbeiten. Die großen und kleinen zum Ausschmücken des Hauses bestimmten Stickarbeiten, wie auch einige Elemente der Tracht, hauptsächlich das Unterkleid der Frauen und manchmal die Schürze – werden in Fadenstickerei angefertigt, während man für das Besticken der anderen Teile, hauptsächlich der Mäntel und Westen der Frauen- und Männertracht Gold- und Seidenschnur verwendet.

Die ältesten Beispiele der griechischen Stickerei-Kunst sind die für die Ausstattung des Hauses bestimmten Stücke; die schönsten davon stammen aus dem 18. Jh. Es sind meistens Decken und Vorhänge für den Schmuck des Bettes. Wie die holzgeschnitzte Vertäfelung und die Wandmalereien, fügen sie sich völlig in den Innenraum des Hauses ein. Die schönsten und repräsentativsten dieser Arbeiten, meistens aus Ipirus und von den ägäischen Inseln, sind mit Seidenfäden in glänzenden Farben ausgeführt. Da diese mit Pflanzenstoffen gefärbt waren, sind sie bis heute nicht verblichen. Grün, rot und blau sind die Grundfarben, doch wurden auch andere verwendet, gewöhnlich gelb, braun und schwarz. Es waren reine Farben, ohne Abstufungen, wie sie mit Hilfe verschiedener Farbrezepte entstanden. Durch Fehler beim Färben – Abweichungen von der vorgeschriebenen Mischung der Farbstoffe, nicht genaue Zeiteinhaltung beim Kochen – ergaben sich Nuancen, die die Grundfarbenskala bereicherten.

Hinsichtlich der angewandten Technik können die für den häuslichen Gebrauch bestimmten, sowie auch die mit bunten Fäden ausgeführten Stickarbeiten wiederum in zwei Gruppen eingeteilt werden:
• die Metrita (abgezählte) und
• die Grafta (geschriebene, d. h. mit vorgeschriebenem Muster)
Die Metrita werden ohne vorgezeichnetes Motiv mit abgezählten Stichen gestickt – es entstehen dadurch geradlinige Muster, die diesen Stickereien das Aussehen eines Gewebes verleihen.
Bei den Grafta hingegen wird das Muster zuerst aufgezeichnet, wodurch die Möglichkeit einer feineren, naturalistischen Gestaltung gegeben ist. Strenge und Symmetrie – diese durch jahrhundertelange Schulung des griechischen Volkes im Bereich der Kunst erworbenen Grundregeln – beschränken jedoch in gewissem Maße diese Freiheit. Dies zeigt sich besonders in den großen friesartigen Bordüren, die die Bettumrandungen oder die Betttücher säumen. Das Muster dieser Bordüren besteht meistens aus dreiteiligen, wechselweise sich wiederholenden heraldischen Motiven, so z. B.: eine Zypresse oder ein Blumentopf zwischen zwei Tieren oder Vögel, eine große Vase oder große Blume, die sich mit den gleichen, aber kleineren Motiven abwechseln. Die Scheu vor dem Leeren ist bei diesen Stickereien die dritte Regel. Der horror vacui ist in der Volkskunst fast allen, auch den sogenannten primitiven Völkern gemeinsam und äußert sich darin, dass man entweder die Motive zusammendrängt oder die großen Motive mit kleineren ausfüllt, so wird z.B. ein großes Rosenblatt mit kleinen wilden Rosen oder der Körper eines Rehs mit kleineren Tierfiguren gefüllt.
Das Vorherrschen des naturalistischen Elements, allgemeines Kennzeichen der Stickereien für das Haus in ganz Griechenland, ist auf den Einfluss, den die persische Kunst seit dem 16. Jh. auf die mittelasiatische Ornamentik ausübte, zurückzuführen. Am Häufigsten treten diese Pflanzenmotive als Blumentopf oder Blumenvase auf, eine Weiterentwicklung und Reminiszenz des orientalischen Lebensbaums. Gewöhnlich besteht dieses Motiv aus einer großen Vase mit Blumen zwischen zwei, symmetrisch rechts und links davon angeordneten Tier oder Menschenfiguren. Symbole und Motive, der Tradition und dem Leben des griechischen Volkes entnommen, werden diesem Grundthema beigefügt, wie die Schlange, der Hahn, der Doppeladler, die Gorgone und auch die Hochzeit, die Schwiegereltern, das Brautpaar, die Musik, der Tanz.

Diese allgemeinen Charakteristika der Stickereien für die Ausschmückung des Hauses sind bei den Hemdstickereien zu finden, die auch in bunten Seidenfäden angefertigt wurden.

Die Mäntel der Frauen und Männertrachten aus allen Gebieten Griechenlands und in allen ihren Varianten sind fast immer mit gedrehter Goldschnur (selten mit Goldfaden) oder mit bunter Seidenschnur bestickt. Sie sind die kostbarsten und repräsentativsten Beispiele der Trachtenstickerei bzw. Goldstickerei, nämlich der Terzidiki (Goldschnurstickerei) und der Syrmakeziki (Goldfadenstickerei).

Die Goldstickerei, die durch orientalische Einflüssen in Griechenland Verbreitung fand, blühte schon um das 4. Jh. n. Chr. Sie trug während der ganzen byzantinischen Zeit mit ihren prächtigen Kunstwerken zum Prunk des Hofes von Byzanz und der östlichen Kirche bei. Diese Goldstickereien sind uns wohl durch Beschreibungen byzantinischer Texte als auch durch die Werke selbst bekannt, die aus der Zeit der Palaiologen (13. – 15. Jh.) erhalten geblieben sind.

Im 18. Jh. erlebte die Goldstickerei im griechischen Raum eine neue Blüte. Während die Seidenstickerei fast ausschließlich von Frauen im Haus ausgeführt wurde, entwickelte sich die Goldstickerei hauptsächlich zu einem Kunstgewerbe das von Männern ausgeübt worden ist. Der Beruf der Terzis und des Syrmakezis (in der Goldschnur- bzw. Goldfadenstickerei spezialisierte Goldsticker) steht in dieser Zeit an erster Stelle des organisierten Gewerbes, das zu den reichsten und größten Gilden gehörte. Die Goldsticker stammten hauptsächlich aus den gebirgigen Gebieten des nördlichen Griechenlands, wo der Boden seine Bevölkerung nicht ernähren konnte, sodass die Menschen gezwungen waren, sich dem Gewerbe zuzuwenden.

Die Terzides, die zugleich Schneider und Goldsticker waren, wanderten von Ort zu Ort. Jedes Jahr, meistens im Frühling, verließen sie ihre Dörfer des Pindos, Westmakedonien, Rumeli und der Peloponnes und durchwanderten das ganze Land, um die Lokaltrachten zu nähen und zu besticken. Sehr oft gingen sie über die Grenze und gelangten bis tief nach Anatolien, oder sie durchquerten den Balkan in alle Richtungen, sie besaßen sogar im Westen feste Werkstätten. In Venedig z. B. sind um 1544, hundert Jahre nach dem Fall von Konstantinopel, so viele Goldsticker als Mitglieder der dortigen Griechischen Bruderschaft eingetragen, dass man vermuten kann, die Terzides hätten auch Kleidungen für die Venezianer hergestellt.

Die sogenannten Terzidika sind mit Gold und seltener mit Silberschnur ausgeführte Stickereien. Die Gold- und Silberschnur wurde auf den Umriss des Musters aufgesteckt, das auf ein auf dem Stoff befestigtes Papier aufgezeichnet worden war. Wenn die Stickerei fertig und das Papier entfernt worden war, blieb auf der rechten Seite des Stoffes das goldene Ornament in seiner ganzen Pracht, auf der Rückseite waren nur die kaum sichtbaren, feinen Sticke zu sehen, die die Gold- und Silberschnur befestigten. Auf die gleiche Weise wurden auch die Trachtenstickereien ausgeführt, für die man bunte Seidenschnüre verwendete.

Die Syrmakezika (Goldfadenstickereien) waren schwieriger und kostspieliger, daher auch seltener als die Terzidika. Meistens waren in der Syrmakeziki Technik nur die Stickereien hergestellt, die für besondere Gelegenheiten bestimmt waren: Trachten, große Kissen und Decken für das Brautbett aus Atlas oder Samt, sowie die prunkvoll bestickten Gewänder der orthodoxen Kirche.

Die Syrmakezika-Stickereien, die bis in das 18. und 19. Jh. hinein überliefert waren, werden in den byzantinischen Texten als Syrmatina, Syrmateina oder Syrmatera bezeichnet. Sie wurden wie die Terzidika ausgeführt, wobei aber das ganze Verfahren viel schwieriger und komplizierter war, weil anstatt der Gold- oder Silberschnur ein feiner Goldfaden oder ein dünner Draht auf der rechten Seite des Stoffes aufgesteckt werden musste. Im Gegensatz zu den Terzides, die durch das ganze Land zogen, arbeiteten die Syrmakezides in Werkstätten. Florierende Goldsticker-Werkstätten findet man schon im 17. Jh. In allen großen urbanen Zentren, wie Trapezunt, Konstantinopel, Alexandropolis, Thessalnoniki, Ioaninna; auch in den Klöstern wurden solche Werkstätten gegründet. Öfters trifft man auf den kirchlichen, in Klöstern hergestellten Goldstickereien dieser Zeit Inschriften, wie z. B. Arsenios, Mönch, Jeremias Priestermönche aber auch Frauennamen, wie Despineta, Nonne Anna, was bezeugt, dass die Goldfadenstickerei, im Gegensatz zu der Goldschnurstickerei, auch von Frauen betrieben wurde.

Literatur:
Popi ZORA, Ausstellung griechischer Volkskunst (Katalog). Athen 1977.